Eigenbedarfskündigung: zur Härtefallregelung nach § 574 BGB

Die Härtefallregelung (Sozialklausel) nach § 574 BGB stellt hohe Anforderungen, die aber erfüllbar sind

Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Berlin und Essen, zum Urteil des Amtsgerichts Mitte, AG Berlin-Mitte, Urteil vom 20. November 2013 – 19 C 77/12 –, juris.

Die Ausgangslage:

Je größer die Diskrepanz zwischen Miethöhe im Altbestand und erzielbare Miete bei einer Neuvermietung, umso größer wird das Interesse des Vermieters, Mieter aus dem Mietverhältnis zu bekommen. Angesichts der vermieterfreundlichen Gesetzeslage und der ebenso vermieterfreundlichen Rechtsprechung, können Mieter Vermietern, die jedenfalls nicht widerlegbar Eigenbedarf anmelden und darauf gestützt eine Eigenbedarfskündigung aussprechen, kaum etwas entgegensetzen. Die vom Gesetzgeber in § 574 BGB vorgesehene Sozialklausel läuft in der Praxis nahezu leer.

§ 574 BGB: Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.

Das Problem für Mieter in der Praxis: Wenn sowohl Vermieter als auch Mieter annähernd gleichwertige Interessen/Härtegründe geltend machen können, ist immer der Vermieter im Vorteil. Die Abwägung führt teilweise zu merkwürdig anmutenden Ausführungen der Gerichte, wenn etwa Schwerbehinderungen auf der einen Seite gegen die Zahl der Kinder auf der einen Seite abgewogen werden. Die nachfolgend geschilderte Entscheidung des Amtsgerichts Mitte erscheint vor diesem Hintergrund als extremer Ausnahmefall, allein dadurch dass der Mieter obsiegt hat.

Der Fall:

Der Mieter hatte unter anderem geltend gemacht, dass er

•    bereits seit 45 Jahren in der Wohnung wohnte und daher in der Wohnung besonders verwurzelt sei, was ausnahmsweise rechtfertige, ihn nicht auf Ersatzwohnraum innerhalb des Großraums Berlins zu verweisen,
•    an einer Persönlichkeitsstörung leide und ihm dadurch bereits weniger zugemutet werden kann, als einem gesunden Mieter,
•    er Hartz IV beziehe,
•    er psychisch besonders labil sei,
•    bereits eine nervenärztliche Krankheitsgeschichte hinter sich hat, die noch nicht abgeschlossen ist und medikamentös behandelt werden

Die Entscheidung des Amtsgerichts Mitte:

Ein Mieter, der schwerbehindert ist und seit 45 Jahren in einer Mietwohnung lebt, kann gegen die Eigenbedarfskündigung des Vermieters wirksam Widerspruch gemäß § 574b BGB erheben und hat einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit (AG Berlin-Mitte, Urteil vom 20. November 2013 – 19 C 77/12 –, juris).

Das Gericht hat in der Entscheidung dargestellt, dass grundsätzlich nach wie vor Mieter sich auf das gesamte Stadtgebiet Berlins verweisen lassen müssen und nur in diesem besonderen Einzelfall aufgrund der oben dargestellten Umstände in der Person des Mieters und der Historie des Mietverhältnisses eine andere Entscheidung gerechtfertigt sei. Vor diesem Hintergrund sei es dann relevant, dass dem Mieter im Stadtbezirk Prenzlauer Berg kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung stünde.

Bewertung:

Eine vor dem oben geschilderten Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung mieterfreundliche Entscheidung des Amtsgerichts Mitte. In einer Großstadt wie Berlin ist die Rechtsprechung, die dazu führt, dass Mieter im Prenzlauer Berg auf freien Wohnraum in Marzahn verwiesen werden, im Ergebnis zweifelhaft. Die Unterschiede zwischen beiden Stadtbezirken hinsichtlich des Wohnens könnten kaum größer sein, die soziale Anbindung geht bei einem Wechsel des Stadtbezirks innerhalb Berlins in jedem Fall verloren.

Fachanwaltstipp Vermieter:

Vor der Sozialklausel müssen Sie sich bei einer Eigenbedarfskündigung regelmäßig nicht fürchten. Von extremen Ausnahmefällen abgesehen, greift diese regelmäßig nicht. Etwas anderes könnte sich zum Beispiel für Berlin dann ergeben, wenn die Gerichte von einer Wohnungsknappheit in der gesamten Stadt ausgehen. Das ist derzeit nicht der Fall und wahrscheinlich auch zu Recht nicht, denn in Marzahn mag es wohl noch bezahlbaren Wohnraum geben.